Das Pilotprojekt in Utrecht markiert einen wichtigen Schritt für das bidirektionale Laden, bei dem Elektroautos nicht nur Strom aufnehmen, sondern auch ins Netz zurückspeisen können. Das bidirektionale Laden wird als entscheidend für die Netzstabilisierung und die effektive Nutzung von erneuerbaren Energien angesehen.
Mit 50, und bald 500, bidirektional ladenden Renault 5 Carsharing-Fahrzeugen ist „Utrecht Energized“ das erste voll funktionsfähige Vehicle-to-Grid (V2G) Ökosystem Europas. Ziel ist es, E-Autos zu mobilen Energiespeichern zu machen, die besonders bei Solarstromüberschuss tagsüber laden und abends den gespeicherten Strom ins Netz zurückgeben. Das Projekt zeigt, wie die Zusammenarbeit von Fahrzeugherstellern (Renault), Carsharing-Anbietern (MyWheels) und Technologieunternehmen (We Drive Solar) funktioniert. Es gibt Pläne für die Einführung in Deutschland trotz komplexerer Rahmenbedingungen.
Bidirektionales Laden im Detail: Stromfluss gegen den Uhrzeigersinn
Bidirektionales Laden ermöglicht es E-Autos nicht nur Strom aufzunehmen, sondern ihn auch wieder ins Netz oder ins eigene Haus zurückzuspeisen. Bislang war dies hauptsächlich Gegenstand von Pilotprojekten, doch in Utrecht hat nun der Realbetrieb eines deutlich größeren Vorhabens begonnen. Mit 50 bidirektional ladenden E-Autos, deren Zahl auf 500 ansteigen soll, stellt sich die Frage, was die Niederlande besser machen als andere Länder.
Auf den ersten Blick ähneln die Ladestationen in Utrecht gewöhnlichen öffentlichen Ladesäulen, allerdings macht ein kleines, unscheinbares Detail den Unterschied. Die Status-LEDs an den Ladesäulen drehen sich gegen den Uhrzeigersinn, wenn Strom aus dem Fahrzeug ins Netz fließt. Robin Berg, Chef von We Drive Solar, dem Unternehmen hinter der Entwicklung der Säulen, erklärt diese diskrete Visualisierung. Eine blaue LED zeigt an, dass der Ladevorgang läuft, während die weiße von Sonnenstrahlen umrandete LED die entscheidende Information liefert. Dreht diese sich nach rechts, wird mit Strom aus dem Netz geladen; dreht sie sich nach links, speist E-Auto-Akku Strom zurück ins Netz.
„Utrecht Energized“ – vom Test zur Realität
Zahlreiche Pilotprojekte, wie der Feldversuch von Vattenfall und Volkswagen in Schweden, haben die Funktionsweise des bidirektionalen Ladens bereits bewiesen. Zuletzt hatten Vattenfall und Volkswagen mit 200 Fahrzeugen einen Feldversuch in Schweden gestartet, wobei das deutsche Unternehmen Ambibox die Lade-Hardware lieferte. Die Besonderheit in Utrecht ist jedoch die Skalierung. Dabei ist die beschriebene Ladesäule keine Einzelerscheinung, sondern eine von 50, die im Stadtgebiet installiert wurden. Ziel ist es, das bidirektionale Laden aus der Nische zu holen. Gemeinsam mit den Partnern MyWheels, Renault und Mobilize treibt We Drive Solar das Projekt „Utrecht Energized“ voran.
Erstes funktionierendes Vehicle-to-Grid (V2G) Ökosystem
Darüber hinaus ist „Utrecht Energized“ das erste voll funktionierende Vehicle-to-Grid (V2G) Ökosystem in einer europäischen Stadt. Es soll sowohl das Stromnetz unterstützen als auch eine nachhaltige Mobilitätslösung durch elektrische Carsharing-Autos bieten. Robin Berg betonte bei der Auftaktveranstaltung, dass der Übergang von kleinen Pilotprojekten zum großen Maßstab entscheidend sei, um das volle Potenzial der Technologie zu nutzen.
„Ein Auto kann für eine Nachbarschaft ausreichen, aber nicht, um das Netz zu stabilisieren. Dafür brauchen wir viele Autos.“
Skalierung und Systemintegration
In der Zukunft soll das Projekt auf bis zu 500 E-Fahrzeuge wachsen. Dafür haben alle Partner ihr Wissen aus früheren Pilotprojekten gebündelt, um ein maßgeschneidertes System zu schaffen. Dies erfordert zudem eine nahtlose Verbindung aller Systeme – vom Fahrzeug über die Ladesäule und das Carsharing-Buchungssystem bis hin zur Anbindung an den Energiemarkt, wo der aktuelle Strompreis berücksichtigt wird. Auch Genehmigungen und Zertifizierungen von der Stadt und den Netzbetreibern waren notwendig, um das Projekt zu realisieren.
Renaults Rolle und die Flotte
In den letzten Wochen installierte man bereits die ersten 50 bidirektionalen Ladesäulen und integrierte 50 Renault 5 E-Tech Electric in die MyWheels-Flotte. Diese Fahrzeuge sind von Werk aus für bidirektionales AC-Laden ausgelegt. Insgesamt sollen 500 elektrische Renault-Modelle, darunter der Renault 5, Renault 4, Mégane E-Tech und Scénic E-Tech, die Flotte in Utrecht bilden. Die langjährige Zusammenarbeit zwischen We Drive Solar und Renault war hierfür entscheidend. Robin Berg tüftelte bereits seit zehn Jahren an der Vision einer bidirektionalen Carsharing-Flotte, wobei sich We Drive Solar inzwischen ganz auf das bidirektionale Laden konzentriert und MyWheels als Carsharing-Partner gewinnen konnte.
Utrechts Vorteile für das Projekt
Utrecht als Standort zu wählen, ist allerdings kein Zufall. Denn die Stadt ist prädestiniert für bidirektionales Laden – auf 35 Prozent der Dächer sind bereits PV-Anlagen installiert. Der tagsüber produzierte Solarstrom kann in den E-Auto-Akkus gespeichert werden, um ihn abends, wenn die Sonne nicht mehr scheint, zu nutzen oder ins Netz zurückzuspeisen. Die Speicherung in E-Auto-Akkus würde die Energie lokal nutzbar machen und das Potenzial der vorhandenen Batterien ausschöpfen. Die Niederlande weisen generell eine hohe Solardichte pro Einwohner auf, was zu Überschüssen an sonnigen Tagen führen kann. Die überschüssige Energie wird dabei meist ins Ausland verkauft – unter anderem Deutschland und Belgien. An sonnigen Tagen wurden dabei bis zu 26 Gigawatt Leistung über PV-Anlagen generiert, obwohl man nur 15 Gigawatt Leistung im Netz benötigte.
Das Zusammenspiel von Carsharing und Netzstabilisierung
Auf den ersten Blick mag es widersprüchlich erscheinen, Carsharing-Autos für bidirektionales Laden zu nutzen, da Flottenbetreiber typischerweise von fahrenden Autos profitieren. Doch das Projekt verfolgt den Ansatz, dass die Autos auch im geparkten Zustand Geld verdienen können. MyWheels fokussiert sich auf Fahrten aus der Stadt heraus, da viele Utrechter innerstädtisch Rad fahren. Dies ermöglicht längere Standzeiten der Autos an den Ladestationen. Das Preismodell von MyWheels, das Kurzstrecken teurer macht und die Preise bei längerer Mietdauer senkt, unterstützt diesen Ansatz.
Der Ablauf des bidirektionalen Ladens
Das bidirektionale Laden ist für die Nutzer denkbar einfach, denn das Ladekabel wird einfach ins Auto und in die Ladesäule gesteckt. Es wird zudem keine Ladekarte oder App benötigt, da Plug&Charge unterstützt wird. Sobald ein MyWheels Renault 5 nach einer Fahrt an seine Ladestation angeschlossen wird, übernimmt die Software von We Drive Solar die Steuerung des Ladevorgangs und das in Abstimmung mit dem Buchungssystem von MyWheels. Ist die nächste Buchung z.B. erst am nächsten Morgen, lädt das Auto nicht sofort, da der Strom abends teurer ist. Steigt demgegenüber der Stromverbrauch im Netz am frühen Abend an, entscheidet die Software, dass Strom ins Netz abgegeben werden soll. Nach dem abendlichen Strom-Peak lädt der Akku mit günstigerem Strom nach und wartet gegebenenfalls auch bis zum nächsten Morgen, wenn der Solarstrom wieder günstiger ist.
Wirtschaftliche Vorteile des Bidirektionalen Ladens
Darüber hinaus hat das bidirektionale Laden auch viele wirtschaftliche Vorteile und soll das Carsharing günstiger machen. MyWheels bevorzugt für seine Flotte größere Batterien (z.B. 52 kWh statt 40 kWh beim Renault 5), da diese nicht nur mehr Reichweite für spontane Buchungen bieten, sondern auch mehr Potenzial für bidirektionales Laden. Ferner bietet ein größerer Speicher mehr Flexibilität für die Kunden, denn ist der Akku bei einer spontanen Buchung nicht voll, da er zur Netzstabilisierung entladen wurde, bietet die größere Variante bei z.B. 60% Ladestand einige Kilometer mehr Reichweite als die kleinere.
Die Mehrkosten für größere Batterien können durch V2G wieder ausgeglichen werden. Laurens van de Vijver, CEO von MyWheels, bestätigt, dass das bidirektionale Laden bereits in den ersten Tagen der öffentlichen Nutzung die Betriebskosten senken konnte. Das Projekt im Realbetrieb soll nun weitere Daten und Zahlen über alle Jahreszeiten hinweg liefern.
Herausforderungen und Regulierung
Trotz positiver Erfahrungen sind die Learnings aus Utrecht nicht 1:1 auf andere V2G-Projekte übertragbar, denn jedes Projekt ist sehr individuell. Dies liegt an der Komplexität des Energiemarktes mit verschiedenen Netzbetreibern und spezifischen städtischen Vorgaben für Ladepunkte. MyWheels ist in den gesamten Niederlanden aktiv, hat jedoch strenge Regeln, an die sich das Unternehmen halten muss. In einigen Städten bekommen sie für das Carsharing exklusive Ladeplätze genehmigt. In anderen dürfen neue Ladestationen nur als Teil einer Konzession errichtet werden. Diese müssen dann auch öffentlich zugänglich sein.
Außerdem müssen Hindernisse wie Steuer- und Netzentgelte sowie Zertifizierungsprozesse beseitigt werden, damit V2G ein Eckpfeiler des Stromnetzes werden kann. Jérôme Faton, Director Energy von Mobilize, betont demnach:
„Um das volle Potenzial von V2G auszuschöpfen, müssen wir bestehende Hindernisse beseitigen – von der Anpassung der Steuervorschriften und Netzentgelte bis hin zur Förderung der Interoperabilität und Vereinfachung der Zertifizierungsprozesse. Mit der richtigen Ausrichtung kann V2G zu einem Eckpfeiler des Stromnetzes von morgen werden“.
Renault möchte V2G nach Deutschland bringen
Renault bietet in Frankreich in Zusammenarbeit mit The Mobility House bereits bidirektionales Laden für Privatkunden des Renault 5 E-Tech an. Für die Niederlande ist ein solches Angebot für Anfang 2026 geplant. Dabei werden höhere Einsparungen für niederländische Privatkunden aufgrund der höheren Wertigkeit netzdienlicher Leistungen erwartet. In Frankreich konnten Kunden mit 10.000 Kilometer Fahrleistung pro Jahr 300 Euro sparen. Man schätzt, dass das Einsparungspotenzial in den Niederlanden doppelt so hoch ausfällt.
Faton kündigte an, die Technologie auch in Deutschland ausrollen zu wollen, obwohl der deutsche Energiemarkt mit über 850 Verteilnetzbetreibern deutlich fragmentierter ist. Ein Hauptproblem in Deutschland sei der schleppende Rollout von Smart Metern, die eine Grundvoraussetzung für V2G sind. Dennoch gibt es eine hohe Nachfrage aus Deutschland. Wann das Angebot für Deutschland zur Verfügung stehen soll, ist noch unklar.
Quellen / Weiterlesen
„Utrecht Energized“ gestartet: So soll das bidirektionale Laden den Durchbruch schaffen | electrive
Bildquelle: © We Drive Solar