Sobald in Deutschland massenhaft Elektroautos Strom laden, gehen die Lichter aus – solche Szenarien werden immer wieder heraufbeschworen. Letztes Jahr sorgte eine Studie der TU München für Aufregung, die vor einem Zusammenbruch der Stromnetze warnte. Andere Untersuchungen geben zumindest teilweise Entwarnung. Wo sich alle einig sind: Die beste Lösung ist nicht der Netzausbau.
TU München: Netzbetreiber müssen jetzt handeln
Schon bei einer Elektroauto-Quote von 30 Prozent drohen flächendeckende Stromausfälle: Zu diesem Schluss kam letztes Jahr eine gemeinsame Studie der Technischen Universität München und der Unternehmensberatung Oliver Wyman. Die Autoren warnten: Wenn die Netzbetreiber keine Vorkehrungen treffen, könnte es schon ab 2032 Ausfälle geben. Engpässe in den Ortsnetzen könnten sogar schon in fünf bis zehn Jahren auftreten, vor allem in Vorstädten, hieß es. Denn dort wohnen viele zahlungskräftige und umweltbewusste Menschen, also typische Käufer von Elektroautos. Die Netzbetreiber müssten handeln.
E.ON gibt nach Stresstest teilweise Entwarnung
Klar ist: Wenn viele Elektroautos gleichzeitig geladen werden, belastet das die örtlichen Stromnetze. Sie sind auf diesen Mehrbedarf nicht vorbereitet. Der Stromversorger E.ON hat jedoch gerade einen virtuellen Stresstest durchgeführt, der die Folgen des kommenden Elektroauto-Booms simulierte. Mit dem Ergebnis, dass die Versorgungsicherheit nicht gefährdet ist. Selbst dann nicht, wenn sämtliche 6,5 Millionen im E.ON-Gebiet gemeldeten PKW bis 2045 durch Elektroautos ersetzt würden. Das Bestandsnetz werde 25 bis 30 Prozent dieser angenommen Fahrzeuge relativ problemlos vertragen, so E.ON. Danach spätestens müsse man das Netz ausbauen.
Für seine Berechnungen nahm der Energieversorger an, dass es in seinem Einzugsgebiet 2,9 Millionen Ladestationen mit jeweils bis zu 11 kW Leistung in Privathäusern gibt, weitere 200.000 öffentliche Ladesäulen mit bis zu 50 kW und 25.000 Schnell-Ladestationen mit bis zu 150 kW Leistung.
E.ON bestätigt, dass das Netz tatsächlich in die Knie gehen würde, wenn alle diese Stationen gleichzeitig genutzt würden. Doch je höher die Anzahl der Fahrzeuge sei, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, dass alle gleichzeitig ankommen und laden, sagte E.ON-Vorstand König. Versuche und Berechnungen zeigten, dass nie mehr als vier von zehn Fahrzeugen gleichzeitig die 11 kW abrufen werden.
Investitionen von 2,5 Milliarden Euro bei E.ON nötig
Um die Stromnetze auszubauen, hat E.ON für die nächsten 25 Jahre einen Investitionsbedarf von insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro errechnet. Zwei Drittel davon sollen in punktuelle, für die Bürger kaum spürbare Baumaßnahmen fließen, etwa die Erneuerung von Ortsnetzstationen. Der Rest wird für den Bau von neuen Leitungen benötigt. Für das E.ON-Netzgebiet ergibt sich daraus ein durchschnittlicher Investitionsbedarf von knapp 400 Euro je Fahrzeug.
Auch EnBW sieht kaum Probleme
E.ON ist vor allem in ländlichen Gebieten aktiv. Der Versorger geht aber davon aus, dass die Ergebnisse des eigenen Stresstests auch auf andere Versorger und auf den Speckgürtel von Großstädten wie München, Berlin oder Hamburg übertragbar sind. Andere Energieunternehmen wie EnBW sehen ebenfalls kein großes Problem. „Der Strombedarf ist aus heutiger Sicht keine Herausforderung für die Elektromobilität“, sagte ein EnBW-Sprecher.
EnBW schätzt: Für eine Million Elektroautos braucht man rund 0,4 Prozent Strom zusätzlich, bei einem durchschnittlichen Verbrauch pro Fahrzeug von 20 Kilowattstunden je 100 Kilometer und 15.000 Kilometern Jahresfahrleistung. Die heutige Netzstruktur könne etwa 13 Millionen Elektroautos in Deutschland verkraften, ein Anteil von 30 Prozent aller Autos.
Allerdings räumt EnBW ein, dass in Ballungsgebieten bei konzentrierten Zuwächsen lokale Engpässe möglich seien. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Im ersten Halbjahr 2019 wurden in Deutschland 47.000 reine Elektrofahrzeuge neu zugelassen.
Intelligente Ladekonzepte könnten Milliarden einsparen
E.ON hat den eigenen Investitionsbedarf für den Netzausbau auf 2,5 Milliarden Euro geschätzt. Was der Energieversorger aber auch schreibt: Dieser Investitionsbedarf könne noch sinken, wenn es digitale Lösungen sowie Anreize für Kunden gäbe, den Großteil der Ladevorgänge vom Abend auf die Nacht zu verschieben. Das bestätigen übrigens auch die Autoren der TU München und Oliver Wyman. Wenn E-Autos flexibel geladen werden, könnte ein Netzausbau komplett überflüssig sein, heißt es.
Die Untersuchungen sind sich also einig, dass der Netzausbau nicht die beste Lösung ist. Intelligente Ladekonzepte sind ein viel effektiveres Mittel, um die Stromnetze zu entlasten. Entsprechend arbeiten Energiebranche und Autohersteller bereits gemeinsam an Konzepten für intelligentes Laden. Ladevorgänge sollen digital gesteuert und verteilt werden, damit hohe punktuelle Belastungen im Stromnetz gar nicht auftreten.
Auch die Autoren von Oliver Wyman weisen darauf hin, dass so immense Kosteneinsparungen möglich wären. Zuerst brauche es aber entsprechende regulatorische Voraussetzungen, damit Netzbetreiber die Ladevorgänge dezentral steuern können. Die Autoren gehen außerdem davon aus, dass man E-Auto-Besitzer nur durch finanzielle Anreize zur Teilnahme bewegen kann. Doch selbst wenn man teilnehmenden Haushalten in den ersten Jahren einen Zuschuss von je 100 Euro zahle, sei das viel günstiger als der Netzausbau. Bei einer E-Auto-Quote von 50 Prozent würden bis zum Jahr 2039 Kosten in Höhe von etwa 4,6 Milliarden Euro entstehen. Die Kosten des Netzausbaus schätzen die Autoren dagegen auf 11 Milliarden Euro.
Quellen / Weiterlesen
Blackout-Gefahr durch Elektroautos | Handelsblatt
Wie Elektroautos die Stromversorgung gefährden | Süddeutsche Zeitung
Stresstest fürs Stromnetz | Spiegel Online
Stromnetz auf möglichen E-Auto-Boom nicht vorbereitet | manager magazin
Blackout: E-Mobilität setzt Netzbetreiber unter Druck | OLIVER WYMAN
Bildquelle: pxhere
Der Bericht wäre deutlich interessanter, wenn E.ON sein Übertragungsnetz nicht schon vor einer halben Ewigkeit an TenneT verkauft hätte.
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